Status Quo: Investitionsbedarf der Stadtwerke und wie die Energiewende finanzierbar ist

Deutschland hat sich verpflichtet, 2045 klimaneutral zu sein. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.

Doch die Umsetzung dieser Ziele ist insbesondere finanziell eine große Herausforderung. Stadtwerke und Energiegenossenschaften, als regionale Akteure der Energiewende, stoßen zunehmend an finanzielle Grenzen.

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Gastartikel von Nathanael Meyer: Dieser Arikel ist in Zusammenarbeit mit Nathanael Meyer von valueverde entstanden. Nathanael beschäftigt sich täglich mit Finanzierungsmöglichkeiten für Stadtwerke und konnte sein ganzes Fachwissen in diesen Artikel einbringen.
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Wichtig: Das hier ist keine Finanzberatung. Diese Informationen sind keine Kaufempfehlungen. Jede Investitionsentscheidung triffst du alleine und trägst auch selber die damit verbundenen Risiken. Wir übernehmen keine Gewähr über die Richtigkeit der Angaben.

Finanzierungsbedarf liegt bei 721 Milliarden Euro

Die Energiewende erfordert massive Investitionen: Nach Schätzungen des BDEW und Deloitte müssen bis 2030 rund 353 Milliarden Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien und 281 Milliarden Euro in Transport- und Verteilnetze investiert werden. Summiert mit weiteren Investitionen in Energeispeicher und Wasserstoffnetzwerke erhöht sich die Schätzung auf insgesamt 721 Milliarden Euro. [2]

Konkret bedeutet das auch für Stadtwerke einen erhöhten Investitionsbedarf. Laut einer Umfrage des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) und PwC sehen die befragten Stadtwerke einen Investitionsbedarf von 22,7 Milliarden Euro über die nächsten zehn Jahre. Davon entfallen 28 Prozent auf die Wärmeversorgung und 25 Prozent auf die Stromversorgung sowie das Stromnetz. [1]

Allerdings können die Stadtwerke im Durchschnitt nur 30 Prozent ihres Investitionsbedarfs aus eigenen Mitteln decken. [1] Dies führt zu einer Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen.

Quersubventionierung steht Investitionen im Weg

Stadtwerke müssen ihr Investitionsvolumen im Durchschnitt vervierfachen, um die Klimaziele zu erreichen.[1] Gleichzeitig fehlen den meisten kommunalen Versorgern ausreichende Eigenkapitalreserven, da ihre Gewinne zu großen Teilen in den kommunalen Querverbund geflossen sind. Die Gewinne aus der Energiewirtschaft subventionieren so z.B. den ÖPNV oder Schwimmbäder.

Definition kommunaler Querverbund

Der kommunale Querverbund ist ein Organisationsprinzip in der kommunalen Daseinsvorsorge, das die Bündelung von verschiedenen kommunalen Dienstleistungen und Unternehmen ermöglicht. Dies geschieht in der Regel durch die Zusammenfassung von Betrieben, die in den Bereichen der EnergieversorgungWasserversorgungAbfallentsorgung und öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) tätig sind.

Hohe Finanzierungskosten und regulatorische Hürden

Ein weiteres Problem sind regulatorische Hürden. Basel-III-Anforderungen erschweren die Kreditaufnahme. Basel III stellt ein internationales Regelwerk dar, das nach der Finanzkrise eingeführt wurde, um die Stabilität des Bankensystems zu erhöhen. Es beinhaltet strengere Eigenkapitalanforderungen für Banken, was bedeutet, dass Banken mehr Kapital vorhalten müssen, um Kredite zu vergeben. Dies führt zu einer Erhöhung der Kreditkosten und kann die Verfügbarkeit von Krediten für Unternehmen, einschließlich Stadtwerken, einschränken.

Im Ergebnis haben nur 53 Prozent der Stadtwerke Vertrauen in langfristige Bankdarlehen zur Sicherstellung ihrer Investitionen. [1] Stadtwerke haben oft eine begrenzte Kapitaldecke und die hohen Anforderungen an das Eigenkapital können dazu führen, dass Banken zurückhaltender bei der Kreditvergabe an Stadtwerke sind.

Steigende Zinsen erhöhen die Finanzierungskosten für Stadtwerke zusätzlich.

Besonders kleinere und mittlere Stadtwerke in strukturschwachen Regionen können diese Herausforderungen kaum allein bewältigen. In dem Bericht Kapital für die Energiewende von Deloitte heißt es daher: „Die Beschaffung von Kapital stellt eine der größten Herausforderungen für Stadtwerke dar.“ [2]

Angesichts dieser finanziellen Hürden betont die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) die Notwendigkeit, privates Kapital für die Energiewende zu mobilisieren. Michael Dittrich, stellvertretender Generalsekretär und Finanzchef der DBU, unterstreicht: „Ohne eine Mobilisierung privaten Kapitals wird die Klimaneutralität Deutschlands nicht zu finanzieren sein“ [9]

Privatinvestitionen und Projektfinanzierung als Lösungsansatz

Rund 4,5 Billionen Euro liegen auf deutschen Sparkonten. [7] Ein enormes Potenzial, um die Energiewende zum Gelingen zu bringen. Gleichzeitig investieren 44 % der Haushalte in Deutschland bereits grün oder können sich das vorstellen. [8]. Es liegt also nahe, Privatpersonen als Finanzierungsquelle für Stadtwerke zu erschließen.

Als Projektfinanzierung möglich: Ausbau der erneuerbaren Energien

Um den Investitionsbedarf mithilfe privater Sparenden zu decken, müssen Stadtwerke innovative Finanzierungsmodelle in Betracht ziehen:

  • Bürger:innenbeteiligungen: 84 Prozent der Stadtwerke sehen diese Form der Finanzierung positiv. Die Einbindung von Bürger:innen kann nicht nur Kapital generieren, sondern auch die Akzeptanz für Klimaschutzprojekte erhöhen. [1]
  • Projektfinanzierungen: Diese ermöglichen es Stadtwerken, spezifische Energiewendeprojekte durch externe Investoren zu finanzieren. Hierbei können verschiedene Assets wie Kraftwerke und Energienetze in Projektgesellschaften eingebracht werden. [3, 4]
  • Öffentliche Fördermittel: Die Kommunen und Städte fordern Unterstützung durch langfristige Förderprogramme von Bund und die Ländern. Ein vorgeschlagener Energiewendefonds könnte zusätzliche Mittel bereitstellen. [5]

Bürger:innebeteiligung organisieren

Bürger:innenbeteiligungen bei Stadtwerken und Energieprojekten können in der Praxis auf verschiedene Weise organisiert werden. Es gibt bereits mehrere erfolgreiche Ansätze, die zeigen, wie eine effektive Einbindung der Bevölkerung aussehen kann:

Genossenschaftliche Beteiligung

Ein Beispiel ist die hessische BürgerEnergieGenossenschaft Wolfhagen eG, die 2012 gegründet wurde und 25% der Anteile an den Stadtwerken Wolfhagen hält. Durch dieses Modell können Bürger:innen:

  • Direkt an den Stadtwerken beteiligt sein
  • Zwei Sitze im Aufsichtsrat der Stadtwerke besetzen
  • Bei wichtigen Entscheidungen zur energiewirtschaftlichen Entwicklung der Region mitstimmen

Die Genossenschaft in Wolfhagen hat mittlerweile 814 Mitglieder und zeigt, wie eine breite Bevölkerungsschicht erreicht werden kann. [6]

Informelle Beteiligung

Viele Stadtwerke setzen auf informelle Beteiligungsformen:

  • 91% der befragten Stadtwerke halten Bürgerbeteiligung für wichtig oder sehr wichtig
  • Etwa die Hälfte der Stadtwerke hat in den letzten zehn Jahren Bürger:innen in Planung, Bau und Betrieb von Ökostromanlagen einbezogen
  • 80% der Stadtwerke nutzen informelle Wege der Beteiligung, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen [7]

Innovative Ansätze

So könnte die Investition in Stadtwerken in Zukunft aussehen. Quelle: ValueVerde

Genossenschaftliche Ansätze bedeuten gleichauf viel Bürokratie. Andere Beteiligungsformen sind häufig als Nachrangdarlehen strukturiert. Dies bedeutet ein hohes Risiko für private Investor:innen.

Besser machen möchte es das Leipziger FinTech valueverde. Das Unternehmen von Philipp Knittel, Nathanael Meyer, Youssef Addala und Fabian Meinhardt baut eine Lösung, die es Stadtwerken und Energiegenossenschaften ermöglicht, privates Kapital effizient und transparent einzuwerben.

valueverde setzt auf Fremdkapital in Form von Darlehen ohne Rangrücktritt oder Eigenkapital durch den Erwerb von Anteilen, insbesondere für Investitionen in Genossenschaften. Dies schützt Privatinvestierende besser bei Insolvenzen der Energieversorger. Zudem soll die Mindestinvestitionssumme mit 100 Euro geringer als bei anderen Beteiligungsprojekten sein.

So können Investor:innen von der Energiewende privat und direkt profitieren, indem sie Zinsen für ihr Kapital erhalten oder Dividendenzahlungen. Noch befindet sich das Unternehmen im Aufbau. Interessierte können sich schon heute auf der Warteliste von valueverde eintragen.

Hohe Akzeptanz durch Privatanlegende

Die Einbindung privater Investor:innen hat einen doppelten Effekt: Sie reduziert die Abhängigkeit von klassischen Bankkrediten und erhöht die Akzeptanz der Energiewende.

Ein Beispiel dafür sind die Berliner Stadtwerke, die über eine Bürgerbeteiligung Kapital mobilisiert haben und gleichzeitig Widerstände in der Bevölkerung minimieren konnten. [10, 11, 12]

Neben privaten Anleger:innen müssen auch institutionelle Investoren mehr Geld in den aktiven Umbau der Energieversorgung investieren. Das Problem ist zu groß, um es nur durch privates Geld zu lösen. In der zitierten Studie von Deloitte werden hierfür sogenannte Energiewende-Fonds angedacht. Darüber können große institutionelle Investoren, wie Banken, Versicherer und Pensionskassen, Kapital bündeln und zweckgebunden an Projekte der Transformation im Energiesektor ausschütten.

Fazit

Die Finanzierung der Energiewende zählt heute zu den größten Herausforderungen, vor denen Deutschland steht. Stadtwerke und Energiegenossenschaften spielen dabei eine Schlüsselrolle. Doch die erforderlichen Investitionen übersteigen oft deren finanzielle Möglichkeiten. Herkömmliche Finanzierungsinstrumente reichen nicht aus, um die gewaltigen Summen bereitzustellen. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende braucht es mehr.

Sowohl institutionelle als auch private Investor:innen sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Nachhaltige Finanzanlagen können dabei eine Win-win-Situation sein: Sie unterstützen den Klimaschutz und bieten gleichzeitig attraktive Renditechancen. Wichtig hierbei ist das Risikoprofil (Ausfallwahrscheinlichkeit, Emittent, Nachrangdarlehen) als auch der Nachweis der Nachhaltigkeit (SDGs, CO2-Reduktions-Score, ESG-Score des Unternehmens).

In der Zukunft müssen sich verschiedene Ansätze ergänzen, um Stadtwerken und Energiegenossenschaften Zugang zu den benötigten Mitteln zu geben. Nur so können sie ihre zentrale Funktion in der Energiewende wahrnehmen und eine nachhaltige Energieversorgung langfristig sichern.

Quellen, weiterführende Infos und Kleingedrucktes

  1. Hoher Investitionsbedarf bei Stadtwerken erfordert neue Finanzierungsquellen | PwC
  2. Kapital für die Energiewende | Deloitte und das unten verlinkte Zweite Konzeptpapier von Deloitte Kapital für die Energiewende – Die EWF-Option
  3. Stadtwerke und private Investoren: Gemeinsam für die Energiewende | PwC
  4. Finanzierungsdruck erfordert neue Wege | Handelsblatt
  5. Finanzierung der Energiewende in den Städten | Deutscher Städtetag
  6. Best-Practice-Beispiel aus Hessen „Direkte Bürgerbeteiligung am Stadtwerk“ | LANEG
  7. 4,5 Billionen Euro auf der hohen Kante | Tagesschau
  8. KfW Research: 44 % der Privathaushalte sind grundsätzlich offen für nachhaltige Geldanlagen | KfW
  9. Nachhaltige Finanzanlagen unverzichtbar für Energiewende | Deutsche Bundesstiftung Umwelt
  10. Bürgerbeteiligung für die Energiewende in Berlin | parlament-berlin.de
  11. Klimarendite für Bürger | stadt + werk
  12. Crowdfunding-Projekt „Mieterstrom Mühlengrund 1“ | Berliner Stadtwerke